Das optimistische Manifest
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THESEN ZUR WIRTSCHAFT IM 21. JAHRHUNDERT
Anmerkung: Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht
auf der Titelseite der letzten Ausgabe der Zeitung „Net-Business“ im Juli 2001.
Meine Mitautoren damals waren Anja Dilk, Sven Scheffler, Martin Tofern sowie
der Rest der Net-Business-Redaktion. Beim Aufräumen einer alten Festplatte habe
ich das Dokument jetzt wiederentdeckt.
Mir scheint, es passt auch heute noch.
Marbella, im Februar 2007
Detlef Gürtler
Der Internet-Hype ist am Ende.
Das Net-Business hat gerade erst begonnen.
Zukunft entsteht, indem Menschen sie machen.
SO JUST DO IT!
1. Der Mensch ist das Maß allen Fortschritts.
2. Jeder Mensch ist einzigartig. Seine Wünsche, seine Träume, seine Ziele, sein
Wissen, seine Kreativität, sein Arbeitsvermögen sind einzigartig.
3. Jeder Mensch verdient einzigartige Produkte, einzigartige Arbeit, einzigartige
Bildung.
4. Das 19. Jahrhundert war das der Unternehmer. Das 20. Jahrhundert war das der
Manager. Das 21. Jahrhundert wird das der Wissensarbeiter.
5. Im 20. Jahrhundert hat sich die Produktivität der Industriearbeit verfünfzigfacht.
Im 21. Jahrhundert kann sich die Produktivität der Wissensarbeit verfünfzigfachen.
6. Unternehmen brauchen Geld und Köpfe, Finanzkapital und Humankapital, um zu
produzieren. Aber der Engpassfaktor entscheidet, zu welchen Bedingungen produziert
wird. Und der Engpassfaktor wird immer öfter das Humankapital sein.
7. Es kommt nicht mehr darauf an, etwas so gut zu können wie andere auch. Es kommt
darauf an, für sich herauszufinden, was man besser kann als jeder andere.
8. Es gibt keinen Bildungs-Abschluss mehr. Es gab ihn übrigens nie.
9. Die Zahl der Berufseinsteiger nimmt ständig ab. Jeder einzelne wird damit wertvoller.
10. Weil das Lernen nie aufhört, werden die Universitäten massive Konkurrenz von
anderen Bildungseinrichtungen bekommen. Dass kann ihnen nur gut tun.
11. Lehrer vermitteln Informationen. Gute Lehrer erzeugen Wissen.
12. Nur, wer Wissen produziert, wird Lehrer genannt werden – egal, wo er arbeitet.
13. Aus dem passiven Akt des Arbeit-Nehmens wird ein aktiver Akt – die Investition
des eigenen Humankapitals.
14. Eigentum verpflichtet, sagt das Grundgesetz. Das gilt auch für geistiges Eigentum.
15. Um Erfahrung zu haben, muss man nicht alt sein. Um Lust auf Neues zu haben,
muss man nicht jung sein. Um Erfolg zu haben, muss man beides verknüpfen.
16. Jobholder Value siegt über Shareholder Value.
17. Humankapital wird so wertvoll und individuell sein, dass viele Menschen sich
an der Börse notieren lassen könnten.
18. Von denen, die sich an der Börse notieren lassen könnten, werden nur die wenigsten
das wollen.
19. Viele der derivativen Produkte, die zur Absicherung von unternehmerischen
Risiken erfunden wurden, werden auch für die Absicherung persönlicher Risiken
eingesetzt werden.
20. Nationale Institutionen werden nationale Finanzkrisen nie verhindern können.
Hierfür Vorsorge zu treffen, bleibt Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft.
21. Futures-Märkte für Inflationsraten, BIP-Wachstum, Staatsdefizit und Arbeitslosenquote
ermöglichen der Politik eine weit realistischere Einschätzung der Folgen ihres
Handelns als die heute üblichen Meinungsumfragen und Zeitungskommentare.
22. Unternehmen werden auch weiterhin Profit machen müssen. Und das ist gut so.
23. Bisher waren die Menschen eine Ressource der Unternehmen. Im 21. Jahrhundert
werden die Unternehmen eine Ressource der Menschen.
24. Unternehmen agieren zwar marktwirtschaftlich, werden aber planwirtschaftlich
geführt. Im 21. Jahrhundert werden sie auch marktwirtschaftlich geführt werden.
25. Im 20. Jahrhundert kollabierten die planwirtschaftlichzentralistischen Diktaturen.
Im 21. Jahrhundert werden planwirtschaftlich-zentralistische Unternehmen
kollabieren.
26. Wer Wissen managen möchte, wird scheitern.
27. Wer glaubt, über das Wissen seiner Beschäftigten verfügen zu können, nur weil
er ihnen ein Gehalt zahlt, irrt sich.
28. Wer das Wissen seiner Beschäftigten nutzbar machen möchte, wird unternehmensinterne
Märkte für Wissen einrichten müssen.
29. Im 21. Jahrhundert werden die Beschäftigten entscheiden, was sie wie tun möchten
– nicht ihre Vorgesetzten.
30. Arbeitsweise und Arbeitsatmosphäre der New Economy werden noch viele Jahre
stilbildend sein und praktiziert werden – allerdings nur von Menschen auf der
Suche nach Herausforderungen und Abenteuern.
31. Die New Economy hat blitzlichtartig gezeigt, wie viel Geld das Wissen einzelner
Menschen wert sein kann. Was am Anfang des 21. Jahrhunderts übertriebene
Einzelfälle waren, wird im Laufe des 21. Jahrhunderts zur Normalität werden.
32. Irgendwann werden sich sogar Behörden auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einstellen.
33. Unternehmen sind keine geschlossenen Gebilde mehr, sondern offene Netzwerke.
Der Kunde ist Teil dieses Netzwerks.
34. Das Internet wird die gesamte Wirtschaft revolutionieren. Wie vor ihm schon
die Dampfmaschine, die Eisenbahn, die Elektrizität, das Automobil, der Tarifvertrag,
das Telefon, der Container und der Computer. Und wie nach ihm noch ein paar
andere Innovationen mehr.
35. Okay, der Internethype war ein Goldrausch. Aber ohne den Goldrausch von 1848
keine Levi’s, kein San Francisco, kein Hollywood, kein Silicon Valley.
36. Der Erfolg des Internets beruht auf seiner Offenheit und Neutralität. Diese
gilt es, um jeden Preis zu bewahren.
37. Das Internet ist nicht die Revolution der Wirtschaft – es ist das Instrument
dafür.
38. Es wird immer ein paar Leute geben, die mit dem Bau von Instrumenten Geld
verdienen. Viel mehr Leute werden ihr Geld verdienen, indem sie sich dieser Instrumente
bedienen.
39. Das Internet wird sich aus der Fesselung an den Computer befreien. Es wird
da sein, wenn wir es brauchen – auf der Fernbedienung, im Telefon, im Geldbeutel.
40. So wie die Welt nicht demokratisch regiert werden kann, kann sie auch nicht
demokratisch vernetzt werden. Größe erzeugt Machtzentren und Hierarchien.
41. So wie Demokratie im Stadtviertel gelebt werden kann, können Newsgroups und
Communitys in völliger Freiheit existieren.
42. Das Internet ist universal genug, um Großes und Kleines, Hierarchie und Freiheit,
nebeneinander zuzulassen.
43. Manche Ideen werden besser, wenn alle daran arbeiten. Manche nicht. Manche
Software wird besser, wenn sie ein Open-Source-Produkt ist. Manche nicht.
44. Im Zweifel für offene Software. Aber nur im Zweifel, nicht aus Prinzip.
45. Content im Internet wird immer Geld kosten. Content im Internet wird immer
kostenlos sein.
46. Wer will, wird jederzeit und überall erreichbar sein.
47. Wer will, wird jederzeit und überall die Informationen bekommen können, die
er gerade braucht.
48. Wir werden Dienstleister dafür bezahlen, dass uns nur die Werbung erreicht,
die uns tatsächlich interessieren könnte.
49. Die Welt wird immer lebenswerter. Wer hätte schon gern im Deutschland von
1900 gelebt? Und wer sollte sich im Jahr 2100 wünschen wollen, in unserer Zeit
gelebt zu haben.
50. Freizeit, Arbeitszeit und Lernzeit gehen grenzenlos ineinander über.
51. Wer die Freizeit und Arbeitszeit lieber voneinander abgrenzen will, kann das
tun – nach seinen eigenen Wünschen.
52. Warum sollen Menschen gerade dann am härtesten arbeiten, wenn sie viel lieber
mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten?
53. Warum sollen Menschen gerade dann mit der Arbeit aufhören, wenn ihre Erfahrung
und ihre Kontakte sich richtig auszahlen?
54. Es gibt immer neue Technologien, mit denen sich Unternehmen und Staaten Kontrolle
über die Privatsphäre verschaffen können. Und es gibt immer neue Technologien,
mit denen Menschen ihre Privatsphäre verteidigen können.
55. Der Schutz der Privatsphäre wird zum handelbaren Gut.
56. Neue Technologien produzieren neue Regeln. Aber Menschen haben die Möglichkeit,
diese Regeln zu beeinflussen.
57. Computer werden lernen, kreativ zu sein. Aber das wird dauern.
58. Der Fortschritt der Informationstechnologie gerät frühestens ins Stocken,
wenn Computertechnologie so effizient ist wie das Leben selbst. Und das dauert.
59. Maschinen sind dazu da, den Menschen zu dienen.
60. Roboter bleiben das bestgeeignete Medium, um den aktuellen Forschungsstand
der Künstlichen Intelligenz zu demonstrieren. Und sie bleiben ein mehr putziges
als nützliches Spielzeug.
61. Es gibt keine Hardware-Entwickler mehr. Hardware entwickelt sich selbst.
62. Es gibt keine Software-Entwickler mehr. Software entwickelt sich selbst.
63. Die Menschen leben immer länger, und immer länger ohne schwere Krankheiten.
Aber der Staat wird nicht mehr für alle medizinischen Leistungen aufkommen
können.
64. Die stärkste Versuchung – und die größte Gefahr – für die Menschheit liegt
im Sieg über den Tod
65. Nur ein paar Verrückte werden den Wunsch haben, sich selbst zu klonen.
66. Viele Paare werden sich für ihre Kinder die bestmögliche genetische Ausstattung
wünschen. Es ist die Aufgabe der Politik, die Realisierung eines Teils dieser
Wünsche zu verbieten. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, einen größeren Teil
dieser Wünsche zu ächten.
67. Medikamente werden individuell auf die jeweilige Konstitution, Krankengeschichte
und DNS-Ausstattung abgestimmt.
68. Die Gentechnik ist eine Technologie, die auch 15 Milliarden Menschen ernähren
kann. Sie muss nur genutzt werden dürfen.
69. Eine Technologie, die 15 Milliarden Menschen ein menschenwürdiges Leben sichern
könnte, wird es nie geben. Dies zu erreichen, ist keine wissenschaftliche,
sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.
70. Fortschritt ist nur Fortschritt, wenn er allen dient. Das zu erreichen, ist
die Aufgabe von Staat, Gesellschaft und Gewerkschaft.
71. Die Entstehung einer privilegierten Kaste der Wissenselite ist eine der größten
Gefahren für das Gemeinwesen.
72. Es wird die Aufgabe einer Gewerkschaft neuen Typs sein, die Segnungen der
Wissensgesellschaft einem möglichst großen Kreis zu erschließen.
73. Wenn die real existierenden Gewerkschaften ihre Chance in der Wissensgesellschaft
nicht nutzen, werden sie zur Lobby einer immer kleiner werdenden Berufsgruppe –
etwa so, wie heute der Bauernverband.
74. Schule wird Spaß machen.
75. Im Jahr 2050 werden wir als soziales Minimum einstufen, was heute dem Wohlstand
der oberen Mittelschicht entspricht.
76. Es wird als unsozial gelten, Einkommen zu besteuern.
77. Es wird als sozial gelten, Ausgaben und Erbschaften zu besteuern.
78. In 30 Jahren werden wir in etwa wissen, wie sehr die genetische Ausstattung
die Potenziale eines Menschen bestimmt. Dann wird es heiß diskutiert werden, ob
es sozial gerecht ist, die Menschen nach dem Potenzial ihrer DNS zu besteuern.
79. Technologie bedeutet Wandel. Wir sollten neugierig, kritisch, offen und zuversichtlich
damit umgehen.
80. Neue Technologien wirken immer bedrohlich. Und immer faszinierend. Wie sie
sich auswirken, hängt von uns ab.
81. Jede Generation hat das Recht auf Technologien, die ihre Eltern nicht mehr
begreifen.
82. Es wird einen Gegenentwurf zum liberalen Kapitalismus geben. Und nur weil
er irgendwann demnächst in China entwickelt werden dürfte, muss er nicht unbedingt
schlechter sein.
83. Dem abendländisch-protestantischen Networking-Prinzip – "Weil wir so
gut zusammen arbeiten, haben wir eine gute Beziehung" – wird ein mächtiger
Gegenpart erwachsen: das chinesisch-konfuzianische Guanxi-Prinzip – "Weil
wir eine gute Beziehung haben, arbeiten wir gut zusammen."
84. Wer die Globalisierung bekämpft, kämpft nicht nur gegen die Macht der Konzerne,
sondern möglicherweise für den Zaun um seinen Schrebergarten.
85. Nur wer nationale Kulturen achtet und akzeptiert, kann global erfolgreich
agieren.
86. Jeder kann etwas. Er wird es auch tun dürfen. Er muss es nur wollen.
87. Wir kommen aus dem Jahrhundert der Massenproduktion. Wir gehen in das Jahrhundert
der Individualproduktion.
88. Die Gewinnmargen bei Standardprodukten werden rasiermesserdünn. Wer es schafft,
seine Produkte zu individualisieren, wird im Geschäft bleiben können.
89. Kleinstproduzenten im eigenen Stadtviertel werden eine Authentizität und Individualität
bieten, wie sie Fabrikprodukte nie erreichen können.
90. Die Rolle, die im 20. Jahrhundert die Unternehmensberatung spielte, wird im
21. Jahrhundert die Arbeitnehmerberatung spielen.
91. Service kennt keine Öffnungszeiten. Wir werden Dienstleistungen dann in Anspruch
nehmen, wenn wir sie brauchen – und dort, wo wir sie brauchen.
92. Das wachstumsträchtigste Segment im Tourismusmarkt wird der Weltraumtourismus.
93. Geschäfte, die im wesentlichen auf dem Unwissen der Kunden beruhen, sind keine
mehr.
94. Es kommt nicht darauf an, Produkte zu besitzen. Es kommt darauf an, Produkte
nutzen zu können, wie und wann man will.
95. Nichts liest sich so gut wie ein gutes Buch.
Und als Bonus-These:
96. Alles ändert sich immer – und keiner weiß irgend etwas.